DPA
US-Präsident Obama, Kanzlerin Merkel: Freiwillige Unterwerfung
Die Deutschen wollen im Überwachungsskandal
endlich klare Worte von Angela Merkel. Aber die Kanzlerin schweigt. Wenn wir
uns das gefallen lassen, haben wir aus zwei Diktaturen nichts gelernt. Auch
Feigheit vor dem Freund ist Feigheit.
Wann ist Kontrolle totale Kontrolle? Wenn man sich ihr freiwillig unterwirft
- und sie dann nicht einmal mehr spürt. In Deutschland sind die USA diesem Ziel
schon sehr nahe gekommen. Das zeigt der Umgang weiter Teile der deutschen
Öffentlichkeit mit dem Überwachungsskandal. Und das zeigt auch die Reaktion der
deutschen Regierung. Herunterspielen und verharmlosen: Unsere verantwortlichen
Politiker zucken mit den Achseln und geben dabei mit ihrer eigenen Souveränität
unsere Rechte ab. Ihre medialen Büchsenspanner applaudieren. Wenn die Deutschen
sich das gefallen lassen, haben sie aus zwei Diktaturen nichts gelernt.
Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen will endlich
klare Worte von Angela Merkel hören: Laut ARD-Deutschlandtrend finden 78
Prozent, dass die Kanzlerin deutlicher gegenüber den USA und Großbritannien
protestieren soll. Aber die Bundesregierung lässt die Deutschen in der
angelsächsischen Kälte stehen. Immerhin: Erst sollte in dieser Woche nur eine
Delegation von Sicherheitsexperten nach Washington reisen, um mit den
Amerikanern zu reden. Jetzt fliegt auch der deutsche Innenminister Hans-Peter
Friedrich ins Herz der Macht. Aber vier Wochen nach der Enthüllung des bisher
größten Überwachungsskandals hat die Kanzlerin selbst noch immer nichts zu
sagen - außer dem denkwürdigen Satz, das Internet sei "Neuland für uns
alle".
Noch sonderbarer ist das Schauspiel der konservativen Publizisten, die sich
schützend vor eine versagende Regierung stellen: Die Überwachung durch
Amerikaner und Briten sei erstens nicht neu, zweitens nicht schlimm, diene,
drittens, unserem Schutz und viertens lasse man auf die amerikanischen Freunde
nichts kommen.
Beispiele sind Springers "Welt" und "Welt am Sonntag",
wo Edward
Snowden ein "Verräter" ist und alle Kritiker der US-Politik
endlich "wieder einmal dem
plumpen Antiamerikanismus freien Lauf" lassen wollen. Und die
"Bild am Sonntag", die ein Gespräch zwischen Außenminister Guido
Westerwelle und dem scheidenden US-Botschafter Philip Murphy veröffentlicht,
das durch seine vernebelnde
Belanglosigkeit beeindruckt.
Verschmelzung von militärischen und ökonomischen Sphären
Auch S.P.O.N.-Kolumnist Jan Fleischhauer hat hier geschrieben: "Wenn demnächst in Hamburg oder Frankfurt
eine Kofferbombe explodiert, weil wir zu spät die Verbindungsdaten der Täter
gesichtet haben, wäre es schön, wenn die Justizministerin den Mut fände, den
Leuten zu erklären, dass solche Anschläge nun einmal der Preis sind für das
informationelle Selbstbestimmungsrecht, auf das wir im Augenblick so große
Stücke halten."
Glaubt Fleischhauer, dass immer mehr Überwachung immer mehr Sicherheit
bedeutet? Die Amerikaner haben sich selbst und der Welt längst den permanenten
Ausnahmezustand auferlegt. Jetzt ist auch noch herausgekommen, dass in den USA
der gesamte Briefverkehr überwacht wird. Und dennoch war am 15. April der
Anschlag auf den Marathon von Boston nicht zu verhindern.
Nur Naivität oder Unvernunft würden daraus den Schluss ziehen, dass noch
mehr Überwachung nottut. In Wahrheit sind die Verteidiger der US-Linie
natürlich weder naiv noch unvernünftig. Und in Wahrheit geht es hier nicht um
unseren Schutz. Es geht um die Interessen der Hegemonialmacht USA, politische,
ökonomische, militärische.
In der "FAZ" hat
Frank Schirrmacher neulich geschrieben: "Die Verschmelzung der
militärischen und ökonomischen Sphären hat eine neue gesellschaftliche DNA
geschaffen, in der private Wirtschaftsunternehmen mit militärischer
Rationalität und Präzision Daten produzieren können und militärische und
geheimdienstliche Bürokratien sie nach privatwirtschaftlichen Effizienz- und
Risikokriterien verwerten dürfen." Ja, die ganze Snowden-Affäre liest sich
wie ein Kapitel aus seinem "Ego"-Buch über Digitalisierung und
Ökonomisierung unserer Identität.
Es geht nicht um Sicherheit, es geht um Macht
Im neuen SPIEGEL
heißt es: "Deutschland ist ein Land, das sich nichts traut." Wenn es
gegen Amerika geht, sackt auch dem Rest Europas das Herz in die Hose.
Frankreich, Spanien, Portugal und Italien waren nicht gezwungen, dem Flugzeug
des bolivianischen Präsidenten Evo Morales Überflug und Landung zu verwehren,
in dem der Flüchtling Snowden vermutet wurde. Das war eine Geste der
freiwilligen Unterwerfung.
Dabei sind Deutschland und Europa nicht so ohnmächtig, wie sie sich geben.
500 Millionen EU-Bürger müssen sich nicht einer verlogenen Sicherheitsdebatte
beugen. Die militärischen Fähigkeiten der USA haben die Welt offensichtlich
nicht zu einem sichereren Ort gemacht - aber die Vereinigten Staaten zu einem
mächtigeren Land. Und hier geht es nicht um Sicherheit. Es geht um Macht.
Wollen sich die Deutschen dem Joch dieser Macht mit stiller
Lust beugen, wie Heinrich Manns "Untertan" sie empfand? "Die
Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! ... Gegen die wir nichts
können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die
Unterwerfung darin haben!"
Oder wollen sie dieser Macht eine Gegenmacht entgegensetzen? In den
vergangenen Monaten wurde viel über eine neue deutsche Rolle in der Welt
gerätselt. Im neuen SPIEGEL
erklärt der Soziologe Heinz Bude in einem Essay "Warum dieses Land endlich
seine Rolle als eine der mächtigsten Nationen der Welt annehmen muss".
Deutschland könnte sich für ein Europa einsetzen, in dem bürgerliche
Freiheiten nicht verhandelbar sind - auch gegenüber einem angelsächsischen
Verständnis von Freiheit, das sich von seinen Wurzeln weit entfernt hat. Das
wäre eine sinnvolle Lehre aus Nazi-Terror und Stasi-Regime.